Gottesdienst zum Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus / Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK) Leer lud ein
kkl Leer. An Männer und Frauen – manche von ihnen fast noch Kinder –, die als Zwangsarbeiter ihre Freiheit, ihre Würde und in vielen Fällen ihr Leben verloren, wurde diesmal im ökumenischen Gottesdienst in der katholischen Kirche St. Michael in Leer erinnert. Dazu hatte am Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus wieder die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Leer (ACKL) eingeladen.
„Vergessenen eine Stimme geben – Zwangsarbeit unter der NS-Gewaltherrschaft“ war der Abend am Jahrestag der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau überschrieben. Michael Fischer begrüßte im Namen der ACK die Zuhörer, die den Corona-Regeln entsprechend in die Kirche gekommen waren und jene, die vom Bildschirm aus teilnahmen. Gemeinsam mit Fischer bildeten Silke Janssen, Christine Kimmich und Wolfgang Kellner die Vorbereitungsgruppe, die den Gottesdienst gestaltete.
Musikalische Akzente setzten Julia Wolbers (Querflöte) und Albert Kretzmer (Orgel).
Wer das dicke Buch der mittlerweile im Ruhestand befindlichen Stadt-Archivarin Menna Hensmann aufschlage, in dem die Ereignisse der Nazi-Zeit zwischen 1933 und 1945 in Leer dokumentiert seien, finde eine nicht enden wollende Zahl von Seiten mit den Namen von Fremdarbeitern, sagte Christine Kimmich. 1538 Menschen, die Sprecherin wiederholte diese Zahl, hätten in den Kriegsjahren in Leer gearbeitet. Aus den Niederlanden, aus Belgien, Serbien, Kroatien, Frankreich, Polen, Italien, aus der Ukraine und aus Russland seien sie gekommen. Allein in Ostfriesland habe es 316 Lager gegeben – „unübersehbar unter den Augen der Bevölkerung“, sagte die Pastorin im Ruhestand.
Hitler habe Arbeitskräfte für eine produktive Rüstungsindustrie benötigt, erläuterte Wolfgang Kellner. Als der Krieg begann, hätten zudem wegen der an der Front befindlichen Männer Kräfte in der Landwirtschaft, im Handwerk und in der Industrie gefehlt. Wie brutal Menschen aus mehreren Dörfern in Polen zusammengetrieben wurden, trug Silke Janssen aus der Beschreibung einer damals 15-Jährigen vor, die Zwangsarbeiterin in Bühren (Uplengen) war.
Die Bedingungen hier in den Betrieben seien unterschiedlich gewesen, sagte Kellner. In der Landwirtschaft habe es einigermaßen erträgliche Lebensbedingungen gegeben. Große Gruppen hätten für die Industrie arbeiten müssen. Um sie von der deutschen Bevölkerung weitgehend zu isolieren, seien die Menschen in nur notdürftig ausgestatteten Barackenlagern untergebracht worden. „Das war hier in Leer vor allem das sogenannte Gemeinschaftslager Nesse“, berichtete der frühere Bürgermeister der Ledastadt. Lange, schwere Arbeitstage, viele Verbote und strenge Strafen hätten das Leben der Menschen geprägt.
„Viele haben diese Zeit nicht überlebt“, sagte Christine Kimmich über die Zwangsarbeiter. Es gebe aber auch Beispiele für Betriebe, in denen die Menschen gut behandelt worden seien und Briefe mit entsprechenden Rückmeldungen. Für andere Männer und Frauen, vor allem aus Osteuropa, sei die Leidenszeit auch nach dem Krieg nicht zu Ende gewesen. Wer in Deutschland blieb, habe noch viele Jahre Diskriminierung und Ausgrenzung erlebt. Wer aber in die UdSSR zurückging, sei wegen „Kollaboration mit dem Feinde“ schwer bestraft worden.
Nach Jahrzehnten des Verschweigens und Vergessens gebe es heute Initiativen der Würdigung und der Erinnerung, sagte Kellner. „Die 1538 Zwangsarbeiter, die bei uns in Leer waren, haben einen Namen, ein Geburtsdatum und einen Heimatort. Sie sollen nicht mehr vergessen sein!“, schloss er.
Die Kollekte des Gottesdienstes kommt der „Aktion Sühnezeichen Friedensdienste“ zugute.